Gedankensplitter – Der König auf dem Esel
Vor wenigen Jahren wurden bei archäologischen Ausgrabungen in einem römischen Kastell einige Teile einer mit Gold überzogenen Grossstatue aus Bronze gefunden, die den damaligen Kaiser Augustus auf einem Pferd reitend darstellt. Im Evangelium nach Lukas wird von ihm erzählt, dass er die ganze Welt in Steuerlisten erfassen wollte. Ganz erhalten geblieben ist die hundertfünfzig Jahre jüngere Reiterstatue des römischen Kaisers Markus Aurelius. Ebenso hat sich später der fränkische Kaiser Karl der Grosse darstellen lassen: hoch auf dem Pferd, in der einen Hand die Erdkugel, in der anderen wohl einmal ein Schwert.
Wie am Deckengewölbe der Krypta in der Kathedrale von Auxerre zu sehen ist, wurde in romanischer Zeit auch Christus unter Bezugnahme auf die Apokalypse auf einem Pferd reitend dargestellt. Die Evangelien jedoch erzählen, wie Jesus von einer Menschenmenge umjubelt auf einem Esel in Jerusalem einzog. Ein König auf einem Esel. Das ist, wie wenn ein Papst in einem Fiat fährt.
Die Haltung eines Pferdes war in der Antike ein Luxus. Für die Arbeit in der Landwirtschaft nicht zu gebrauchen, diente es lediglich zur Kriegsführung. Weil man es nur schwer bändigen konnte, zählte es zu den wilden Tieren, neben den Raubtieren, mit denen die Herrschenden allgegenwärtig bis heute auf Münzen und Wappen ihre Herrschaft präsentieren: die Löwen und Panther, Bären und Adler. Der Esel hingegen galt als bescheidenes und für die Arbeit allseits nützliches Tier. Von Papst Johannes XXIII stammt die Bemerkung: „Wo die Pferde versagen, schaffen es die Esel.“
Dass Jesus in den Frühlingstagen zum Paschafest auf einem Esel in Jerusalem einreitet und die Menschen Palmenzweige von den Bäumen trennen und ihm damit jubelnd zuwinken, mit ihren Kleidern gleichsam den roten Teppich vor ihm ausbreiten, setzt demonstrativ ein Verheissungswort des Propheten Sacharja in Szene: „Jauchze, Tochter Zion, juble laut; Tochter Jerusalem, sieh, dein König kommt zu dir. Gerecht und siegreich ist er, demütig und reitend auf einem Esel. Vernichten werde ich den Streitwagen aus Ephraim und die Pferde aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet den Frieden für die Völker.“
Das im biblischen Text verwendete hebräische Wort „‘ani“ meint „niedrig“, „demütig“, aber auch „sanftmütig“. Für Jesus sind Demut und Sanftmut keine Zeichen von Schwäche. Er ist von Herzen, von seiner Mitte her und aus voller Entschlossenheit „niedrig“ und „zärtlich“. Das zeigt sich in seiner entschiedenen Absage gegen jede Form von Gewalt und Herrschaft sowie in seinem solidarischen Umgang mit den Bedrängten und Ausgegrenzten der damaligen Gesellschaft. Durch sein Reden und Handeln kommt so eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit zum Vorschein. Jesus spricht vom Anbruch des Reiches Gottes.
In Jerusalem schenkte die jubelnde Menge dem zärtlichen König ihr Vertrauen. „Hosianna!“, „Bring doch das Heil!“, rufen sie voll Freude Jesus zu. „Gesegnet seist du, der im Namen Gottes kommt.“ Das ist ihr Tag. Heute gehören die Strassen Jerusalems und der Vorhof des Tempels ihnen, die nach Jesu Willen arglos sind wie die Tauben. Aber schon formiert sich der Widerstand der Falken.
Jesus wusste, dass er seine Jünger wie Schafe unter die Wölfe schickte. Und er ist selbst unter die Wölfe geraten und dabei ums Leben gekommen. Je mehr die Bedrängten und Begeisterten ihm „Hosianna!“ zuriefen, desto mehr fordern nicht wenige der Mächtigen und Einflussreichen vom römischen Statthalter Pontius Pilatus „Kreuzige ihn!“ Am Gründonnerstag gedenken wir seiner Lebenshingabe, am Karfreitag seiner Hinrichtung am Kreuz.
In der Osternacht jedoch feiern wir das Geheimnis unseres Glaubens, die Auferstehung Jesu, den Sieg des Königs auf dem Esel, auch in der Zuversicht auf sein Wort in der Bergpredigt: Nicht mehr den Gewalttätigen, den Sanften wird die Erde gehören.
Eduard Ludigs, Theologe