Gedankensplitter – Innehalten

Wir leben in einer hektischen und schnelllebigen Welt. Langsam, antik, traditionell, einfältig, massvoll und dergleichen sind Adjektive, die heute niemand benutzt, um den neuen Generationen etwas schmackhaft zu machen. Heute sind Schnelligkeit, Neuheit, Innovation, Vielfalt und Überfluss Qualitäten, die gefragt sind. Es scheint, dass die Gegenwart gar nicht mehr bewusst gelebt wird, sondern, dass man immer einen Schritt voraus ist. Ich finde das ziemlich anstrengend… Manchmal fühlt es sich an wie auf einer rasanten Achterbahnfahrt, bei welcher ich die Kontrolle über mein Leben verliere – weil alles zu schnell geht. Verschiedene Wege helfen, dieses Schwindelgefühl zu bändigen und meine Mitte wieder zu finden und zu spüren.

Der eine ist das regelmässige Innehalten vor Gott (auch wenn ich ganz viel zu tun hätte). In der Stille vor dem Tabernakel zu verweilen, meine Gedanken vor Gott zu bringen, abzugeben und die Ruhe der Ewigkeit Gottes zu geniessen.

Der zweite Weg ist die Kontemplation der Schönheit und Weisheit der Natur. Diese beiden Wege stellen meine Beine wieder stabil auf den Boden und helfen mir, mich nicht von der Hektik mitreissen zu lassen.

Der dritte Weg, der mir Kraft und Motivation gibt, dem starken Zug des Zeitgeistes zu widerstehen: Das Gespräch mit Seniorinnen und Senioren! Ich liebe und geniesse es, ihren Erzählungen zu lauschen, aber auch ihre Sicht auf die heutige Welt zu hören. Diese Gespräche bringen die Gegenwart in Relation mit einer nicht allzu weit entfernten und doch so verschiedenen Vergangenheit. Meine Grossmutter, aber auch mein Vater erzählen mir von Armut, Migration, Häusern ohne Elektrizität und ohne Toiletten (für mich unvorstellbar!), von Kilometern und Kilometern, die zu Fuss bestritten wurden, um zur Arbeit, zum Arzt, zur Schule zu gehen – keine Autos, Busse oder E-Bikes weit und breit.

Diese Erzählungen bringen mich zum Nachdenken und ich spüre eine innere ruheschenkende Bremse, die mir sagt: «Prüfe alles und behalte das Gute.» Und das ist mein Lebensgrundsatz geworden: Ich öffne mich allem, wäge ab, bringe es vor Gott und fühle mich frei, meinen eigenen Weg zu gehen – dort wo es möglich ist. Dabei helfen natürlich gute Vorbilder und davon haben wir in unserer Tradition unzählige: Don Bosco, Maximilian Kolbe, Mutter Teresa, Carlo Acutis etc. Sie alle erinnern mich, daran, dass es eigentlich im Leben nur um ein Gut geht: Die Liebe. Paulus schreibt den Korinthern: «Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.» Also geht es nicht darum, ob etwas alt, neu, langsam, schnell, modern oder antik ist, sondern nur, allein und einzig, ob es der Liebe dient oder nicht.

Daria Serra, Theologin

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Quelle: Pixabay