Gedankensplitter – Als möchten wir vergessen, wer wir wirklich sind…
Fasnacht oder Fastnacht? Fasching oder Karneval? Die närrischen Tage haben – je nach Region oder Konfession – verschiedene Namen, unterschiedliche Termine und ein völlig anderes Gesicht. Wie verschieden sind doch die «rüüdig verreckti Fasnecht» in Luzern und die «drey scheenste Dääg» in Basel: Hier ziehen die «Pfyffer und Drummler» andächtig durch die malerischen Altstadtgassen, während dort die bunt kostümierte Menge zum fürchterlich schönen Guuggenmusig-Schränzen brodelt… Auch die traditionellen Masken und Verkleidungen sind unverwechselbar – Basler Waggis-Larve mit grosser Nase, archaische Holzmaske des Krienser «Wöschwiibs», klassische Prinzenmütze im rheinischen Karneval.
Eines aber ist überall gleich: Die Menschen – von Fasnachtsmuffeln wie mir abgesehen – geben sich viel Mühe, um für ein paar Stunden oder Tage jemand ganz anderer zu sein. Mit viel Schminke, einer Gesichtsmaske oder Perücke, mit detailverliebter Verkleidung oder im farbenfrohen «Schtrossegwändli» machen sie ihr «wahres Gesicht» unkenntlich und tanzen ausgelassen durch die Stadt oder schunkeln hemmungslos an der Prunksitzung. Fast scheint es, als möchten sie vergessen, wer sie wirklich sind… nur, um sich am Aschermittwoch umso brutaler klar zu werden, wer sie wirklich sind!
Natürlich hat das närrische Treiben verschiedene kulturgeschichtliche Wurzeln – etwa der «billige Trost» fürs gemeine Untertanenvolk, wenigstens ein paar Tage lang ein ausschweifendes «Herrenleben» führen zu dürfen… Auf jeden Fall ist die Fasnacht, meine ich, jedes Jahr wieder ein hysterisch verzweifelter Fluchtversuch vor der – individuellen und kollektiven – Herausforderung, immer wieder und immer mehr ganz mich bzw. ganz uns selber zu werden. Zu nichts anderem lädt uns die «Österliche Busszeit» – die 40-tägige Fastenzeit – auf ebenso mannigfaltige Weise nämlich ein. Nehmen wir die Einladung, die Herausforderung mutig an! (und vorher allen «e rüüdig verreckti Fasnecht»!)
Boris Schlüssel, Kaplan